„Risiken kontrollieren und so gering wie möglich halten.“ So schloss unser Börsenausblick für den Juni, der an dieser Stelle vor einem Monat erschien.
Es steht zu befürchten, dass dieses Motto auch weiterhin seine Gültigkeit behalten dürfte. Zu ausgeprägt waren die Rückschläge an den Aktien- und Rentenmärkten in den zurückliegenden Wochen. Auch die Edelmetalle verzeichneten erhebliche Kurseinbußen.
Es begann Ende Mai mit Unruhe an den Währungsmärkten. Die Aussicht auf eine Straffung der amerikanischen Geldpolitik (oder was die meisten, vor allem die Medien, dafür hielten) löste einen scharfen Kursrückgang bei den Carry-Trade-Währungen aus, also denjenigen Währungen, welche im Vergleich zum U.S.-Dollarraum besonders hohe Zinsen bieten. Beinahe zeitgleich kam es in China aus bisher ungeklärten Gründen zu einer erheblichen Versteifung des Geldmarktes. Die Zinssätze zogen um mehr als das Doppelte an und der Liquiditätsbedarf wurde mit Verkäufen von Anleihen gedeckt. Da China einer der größten Investoren in U.S. Staatsanleihen ist, betraf es dieses Marktsegment naturgemäß am stärksten. Die europäischen Anleihemärkte blieben von diesen Turbulenzen nicht verschont. Soweit zum technischen Ablauf der Geschehnisse.
Parallel zu den Anleihen und Währungen stürzten die Aktienkurse. Gemessen an den Höchstständen dieses Jahres verloren die MSCI Aktienindizes aus Sicht eines europäischen Anlegers in der ersten Jahreshälfte zwischen 4.70% in den USA und 33,2% im Schlusslicht Peru, manchmal innerhalb weniger Tage. Der MSCI Deutschland verlor 6.42% und der MSCI World 6.49%. Im Nachhinein machte eine Diversifikation aus deutschen Aktien heraus nur für die USA Sinn. Der Median-Verlust vom bisherigen Jahreshöchststand betrug minus 11,07%; es war Japan, das exakt die Mitte markierte.
Insgesamt beliefen sich für 28 Länder bzw. Regionen die Verluste vom Jahreshöchststand auf 10 bis 20 Prozent. Bei dieser Größenordnung spricht man von einer Korrektur. 47% aller Märkte befinden sich demnach in einer solchen. Auf acht Märkten lagen die Verluste bei mehr als 20 Prozent. Nach der üblichen Definition sind damit 14 Prozent der Weltaktienmärkte in einer Baisse. Zusammen sind mithin 61 Prozent der Weltaktienbörsen in kritischem Zustand. Sicherlich wird es Erholungsversuche geben, aber es wird angesichts von Rückschlägen dieser Größenordnung fraglich, ob diese zu neuen Höchstständen führen können.
Dies liegt vor allem an den unverändert verhaltenen Konjunkturmeldungen. Zuletzt wurde das U.S.-BIP für das erste Quartal 2013 nach untern revidiert. Vor allem der private Verbrauch war stark überschätzt worden. In Europa und vor allem auch Deutschland sind die aktuellen monetären Daten für den Monat Mai erneut enttäuschend. Die Unternehmenskredite zeigen nicht die Spur einer Belebung der wirtschaftlichen Aktivität und im Juni zeigte der deutsche Arbeitsmarkt unverändert Zeichen von Stagnation. Ein leichter Anstieg des IFO-Index dürfte kaum ein Signal für einen verbesserten Auftragseingang sein, weil die Wachstumsrate der realen Geldmenge seit Monaten stagniert. Die Aufzählung ließe sich beinahe beliebig fortsetzen, ohne dass sie zu einer optimistischen Einschätzung der Zukunft Anlass böte.
Es scheint so, als ob der Konsensus sich darauf „geeinigt“ hat, dass der Konjunkturverlauf für die Entwicklung der Aktienkurse von untergeordneter Bedeutung und allein die Liquiditätsversorgung ausschlaggebend ist. Bisher konnte man damit alle schlechten Konjunkturnachrichten trefflich ignorieren, aber die Schärfe der Kursrückschläge im Juni hat gezeigt, dass die Konjunktur vielleicht doch eine ausschlaggebende Rolle spielt. Denn Zinsanstiege hat es auch in der Vergangenheit gegeben, ohne dass sie sofort die Börsen unter derartigen Druck gebracht hätten. Das war allerdings zu Zeiten, in denen die Konjunktur intakt war. Steigende Zinsen und Anleiherenditen brauchten dementsprechend Monate, um eine Aktienhausse zum Erliegen zu bringen und nicht Tage oder gar nur Stunden. Schon gar nicht hat die schiere Angst vor einer Zinsanhebung jemals solche Konsequenzen gezeitigt.
Das vielleicht klarste Zeichen dafür, dass die Liquiditätsschöpfung der Zentralbanken die globale Konjunktur bisher nicht zu beleben vermochte, sind die Industriemetalle, welche bereits seit vielen Monaten in einer Baisse sind. Zudem sollte jedem die ungebremste Baisse der Edelmetalle vor Augen führen, dass es mit einem Wiederaufleben der Inflation nicht weit her sein kann. Gold, in Dollar gerechnet, liegt immerhin 37 Prozent unter seinem Allzeithoch. Schwache Konjunktur und niedrige Inflation sind eigentlich de Humus, auf dem Anleihekurse gedeihen und nicht abstürzen.
An den Aktienbörsen, wir sagten es schon, sollte es in der nahen Zukunft zu Erholungsversuchen kommen. Wieweit diese tragen werden, lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht beurteilen. Viel wird davon abhängen, inwieweit die Überzeugung, dass die Aktienbörsen eher am Tropf der Zentralbanken als an der Konjunktur hängen, Bestand haben wird. Bereits jetzt tut die amerikanische Notenbank alles, um diesen Glauben aufrechtzuerhalten. Man ist bemüht die Äußerungen Bernankes in ein anderes, milderes Licht zu rücken und der amerikanische RentenGuru Bill Gross, der vor Wochen bereits das Ende der Anleihenhausse proklamiert hatte, rudert ebenfalls zurück. Fruchtet dies nichts, dann droht das Ende der Abkoppelung der Aktienbörsen von der Konjunktur.